B07: Vergessene Legenden | The Lost Tales – Voices in the Dark (2007)



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    Spotlight: Babylon 5: Vergessene Legenden
    von Matthias Pohlmann

    Reden wir über „Babylon 5“

    Für Freunde anspruchsvoller Science-Fiction mit komplexen Charakteren waren die Jahre 1994-1998 relativ glückliche Jahre – mit „Babylon 5“ und „Deep Space Nine“ waren gleich zwei Space-Operas am Start, die einen hier mit erstklassiger Ware versorgten. Insbesondere „Babylon 5“ zeichnete sich dabei durch eine Vielzahl von Szenen aus, die man eigentlich eher auf einer Theaterbühne als auf dem Fernsehschirm erwartet hätte – tragendes Element vieler Folgen war schlicht der Dialog zwischen zwei Personen an einem Ort. Ein großer Vorteil dieser Erzählweise war die dadurch erreichte Charakterentwicklung – jeder einzelne halbwegs wichtige Charakter aus „Babylon 5“ ist so spannend und tiefgehend gezeichnet, dass man als Fan nie genug davon erfahren kann, wie es diesem Charakter ergangen ist. Und da in der letzten (respektive vorletzten) Folge der Serie die allermeisten Charaktere noch leben, blieb und bleibt genug Raum für Entzugserscheinungen und Wünsche, mehr zu erfahren.

    Reden wir über Entzug

    Nach dem Ende der Serie „Babylon 5“ gab es (wenn man die Bücher mal außen vor lässt) zunächst kein neues Material für den Fan. Doch insbesondere noch nicht auserzählte Geschichten wie die Reisen von G’Kar und Lyta, der Telepathenkrieg und die Geschichte zwischen Garibaldi und Bester sorgten beim geneigten Fan für den dringenden Wunsch nach „mehr“. Und es gab „mehr“ – jedoch einerseits eher in homöopathischen Dosen und andererseits leider mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass man noch mehr Geschichten zu Ende erzählt haben möchte. Lässt man die in sich abgeschlossenen Filme („Thirdspace“, „River Of Souls“ und das Prequel „In The Beginning“) außen vor, stehen mit „A Call To Arms“ und den 13 Episoden von „Crusade“ (1998/1999) sowie mit den „Legend Of The Rangers“ (2002) noch mindestens zwei (im Falle von „Crusade“ eher mehr) weitere Handlungsbögen offen, auf deren Auflösung man hofft – und mit dem Cast von „Crusade“ das Schicksal einer kompletten weiteren Crew, das man gerne zu Ende erzählt gehabt hätte.

    Mit der Zeit hätte man sich ja vielleicht daran gewöhnt, dass nichts Neues mehr zu erwarten ist – wenn da nicht die immer wieder aufflammende Hoffnung gewesen wäre. Doch aus der Serie „The Legend Of The Rangers“ (die sich ab dem dritten Jahr mit „Crusade“ überlappt hätte) wurde nichts und der zwischenzeitlich in Rede stehende Kinofilm, der ebenfalls in die „Crusade“-Handlung hineingespielt hätte, erblickte nie das Licht der Leinwand – äh Welt. Auf diese Weise ging es einem als Fan wohl ungefähr so wie einem Junkie, vor dessen Nase immer wieder jemand seine Droge herumwedelt, um sie dann wieder einzustecken.

    Reden wir über Erwartungen

    Zwischen „The Legend Of The Rangers“ und „The Lost Tales“ liegen fünf Jahre. Also die Zeit, in der – in „Babylon“-Dimensionen – eine komplette Serie hätte durch laufen können. Innerhalb einer solchen Zeit, in der man keinen neuen Stoff bekommt, bleibt einem als Fan nur, die vorhandenen Folgen erneut anzusehen. Dabei kristallisieren sich dann Fragen heraus. Fragen, die beispielsweise Galens Agenda in „Crusade“ betreffen. Fragen, die die oben erwähnten offenen Handlungs- und Charakterbögen betreffen. In einer solchen Situation weiß man dann, dass ein Film unter dem Namen „Babylon 5: The Lost Tales“ gedreht werden soll. Aha, so denkt man – JMS hat einen Weg gefunden, uns noch die Geschichten zu erzählen, die noch fehlten. In Bezug auf die Besetzung des ersten Filmes weiß man von Bruce Boxleitner (John Sheridan in „Babylon 5“ und im „echten“ „Crusade“-Pilotfilm „A Call To Arms“), Peter Woodward (Galen ebenda und in „Crusade“) und Tracy Scoggins (Elisabeth Lochley – in „Babylon 5“ und „Crusade“). Bei dieser Bezeichnung des Films und bei dieser Cast ist für den geneigten Fan eigentlich klar, dass – nach immerhin acht Jahren – der ein oder andere „Crusade“-Faden zu Ende gesponnen werden wird. Zumal die Geschichte auch deutlich nach den Ereignissen in „Crusade“ spielen soll – zehn Jahre nach Gründung der Interstellaren Allianz, also 2271.

    Reden wir über den Inhalt von „Lost Tales“ (Spoiler)

    „Lost Tales“ – genauer „Babylon 5: The Lost Tales: Voices In The Dark“ – besteht aus zwei Handlungen, deren Zusammenhang – vorsichtig ausgedrückt – sehr lose ist. Die erste Geschichte spielt auf Babylon 5 und arbeitet mit dem Charakter Elisabeth Lochley. Diese hat einen Priester (exzellent: Alan Scarfe) bestellt, um an einem von einem Dämon besessenen Menschen (beeindruckend: Bruce Ramsay) einen Exorzismus vornehmen zu lassen. Die Geschichte hat alle Zutaten einer klassischen „Babylon 5“-Staffel 5-Folge und vergisst weder zu erwähnen, dass die Kirche an Wichtigkeit verloren hat, noch, dass es (im Gegensatz zu der Zeit, in der „Crusade“ spielt), wieder einen männlichen Papst gibt. Da der Dämon/Teufel als König der Lügner gilt, geht es im weiteren Verlauf darum, in dessen Erzählungen Lüge und Wahrheit zu finden – und den Grund für die Lüge zu finden. Das gelingt auch, da Lochley detektivische Fähigkeiten zeigt – und so geht die Geschichte nach einigen sehr ansehnlichen Effekten ohne Exorzismus nach knapp 40 Minuten zu Ende.

    Die zweite Geschichte dreht sich um Präsident Sheridan, der auf dem Weg nach Babylon 5 ist, um dort die Feiern zum zehnjährigen Jubiläum der Interstellaren Allianz zu begehen. Dabei wird er zunächst von einer Reporterin (großartig: Teryl Rothery) interviewt und holt dann den centaurischen Prinzen Vintari – den vierten in der Thronfolge – ab, damit dieser den Feiern ebenfalls beiwohnen kann. Auf dem Weg zum Abholpunkt erscheint Galen und zeigt Sheridan die Zerstörung New Yorks, die genau dieser Vintari in Zukunft verantworten wird, um die Centauri zu alter Größe zu führen. Es gebe Wege, das zu verhindern – Sheridan müsse „nur“ Vintari töten. Sheridan ist daraufhin in einem Gewissenskonflikt und entscheidet sich in letzter Minute dagegen, Vintari zu töten – Galen hatte von Wegen (also im Plural) gesprochen. Statt dessen plant er, den jungen Prinzen unter seine Fittiche auf Minbar zu nehmen und so auf erzieherischem Wege dafür zu sorgen, dass Vintari später die Erde nicht angreifen wird.

    Reden wir über Enttäuschungen

    Die Liste der Dinge, die man an „The Lost Tales“ kritisieren kann und muss, ist ziemlich lange. Da wäre zu allererst die fehlende Relevanz der erzählten Geschichten. Das sind zwei nette „Babylon 5“-Folgen und sie hätten von der Handlung her auch durchaus in eine sechste Staffel der Serie gepasst. Aber es fehlt jegliche Größe. Nichts von dem, was einen Fan von „Babylon 5“ noch interessiert hätte, wird in den beiden Folgen aufgegriffen – nicht einmal irgendetwas wird erwähnt. Da sitzt eine Reporterin mit dem Präsidenten der Interstellaren Allianz bei einem seiner seltenen Interviews – und alles, was sie fragen kann, ist, wie es sich anfühle, nach zehn Jahren auf die Station zurück zu kommen. Keine Frage nach dem Drakh-Krieg? Keine Frage nach der Hand? Keine Frage nach dem Telepathenkrieg? In den zehn Jahren ist ja nicht nur „Bürokratie“ gewesen, wie Sheridan in seinem launigen Rückblick zu erzählen weiß, sondern jede Menge Verwerfungen, die man doch zumindest hätte anreißen müssen. Jetzt einmal nur aus der Sicht der Reporterin gedacht, die den Präsidenten interviewt.

    Wenn man dazu die Station Babylon 5 als den Schmelztiegel in Erinnerung hat, der sie in den fünf Staffeln der Serie war – und sich daran erinnert, dass der braune Sektor ein wenig von „Kalkutta in space“ hatte, dann fragt man sich beim Betrachten der aktuellen DVD, ob sie vielleicht doch 2281, kurz vor der Sprengung der Station spielt. Denn so leer und ruhig war die Station eigentlich nur einmal: Als JMS höchstselbst die Lichter ausgemacht hatte (in der letzten Folge der Serie „Sleeping In Light“). Da ist auf dem Präsidentenkreuzer der Valen-Klasse gefühlt mehr los als auf der Raumstation – da stimmt irgend etwas nicht. Das kann im Übrigen auch nicht am Budget liegen, denn es hätte unter Garantie jede Menge Fans gegeben, die freiwillig und kostenlos durch die Gänge gerannt wären.

    Zu guter Letzt wären dann noch die immer gleichen Einstellungen zu kritisieren, die von der Station gezeigt werden – und die an manchen Stellen auch für babylonische Verhältnisse etwas überdramatische Musik. Wofür hingegen JMS nichts kann, ist, dass Tracy Scoggins doch arg tief in den Botox-Topf hat greifen lassen – und mittlerweile mehr von einem Luftballon denn von einem Menschen hat …

    Reden wir über Freude

    Wer nun glaubt, „The Lost Tales“ sei schlecht, der liegt dennoch falsch. Zunächst ist man als Junkie ohnehin über jeden Stoff dankbar – erst mal unabhängig von der Qualität. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man aber durchaus auch viele Punkte, die die neueste „Babylon 5“-Doppelfolge sehens- und liebenswert machen.

    Da wären zunächst die beiden Storylines an sich. Das ist zweimal „Babylon 5“ pur, das ist zweimal JMS pur. Es macht Spaß, zu sehen, wie der „bekennende Atheist“ JMS erneut wunderbar um das Thema Religion herum schreibt, dabei durchaus die Probleme des Glaubens an sich auf den Punkt bringt – ohne aber Stellung gegen Religion zu nehmen.

    Ebenfalls richtig gelungen ist die Geschichte rund um John Sheridan und seinen Gewissenskonflikt. Wenn man sich erinnert, was John Sheridan in seinem Krieg gegen Schatten und Erde zeitweise für extreme Maßnahmen ergriffen hat, ist man sich eben nicht sicher, was für eine Entscheidung er in Bezug auf den Tod von Prinz Vintari treffen wird – die Entscheidung, die dann kommt, lässt sich deshalb durchaus auch als Ergebnis von gut zehn Jahren Ehe mit Delenn darstellen.

    Die schauspielerische Leistung sowohl der Stammcast als auch der Gaststars ist auf jeden Fall auch auf der Positivliste zu führen – ebenso die Tatsache, dass auch „The Lost Tales – Voices In The Dark“ auf viele Theaterszenen setzt und dabei den handelnden Personen sehr viel Zeit lässt, Dialoge zu entwickeln. Das ist, wenn man so will, bewundernswert unmodern – und gerade deshalb richtig gut.

    Einen Extrapreis verdient die Geschichte für den Einbau von Charakteren, ohne dass diese aufgetaucht wären. Schon der Beginn mit der Stimme des verstorbenen Andreas Katsulas in der Rolle des G’Kar ist für Fiver einfach Gänsehaut pur. Die Erwähnung, dass G’Kar ebenso wie Dr. Franklin „beyond the rim“ erforsche, ist ebenfalls äußerst elegant eingebaut. Dazu gelingt es über Zitate, ein wenig Londo und ein wenig Delenn in die beiden Folgen einzubauen, so dass sich das „Babylon 5“-Gefühl sehr gut einstellen kann.

    Die Musik insgesamt und der neue Vorspann im Besonderen (inklusive des Erscheinens von G’Kar) verdient ebenfalls ein Lob – die Special Effects sind aller Ehren Wert und machen große Lust darauf, davon in Zukunft mehr zu sehen. Hier war es auf jeden Fall richtig, auf relativ wenige, dafür aber richtig gute CGI-Szenen zu setzen.

    Reden wir über ein Fazit

    „Babylon 5: The Lost Tales: Voices In The Dark“ ist sicher keine Offenbarung an Neuheiten und löst auch keines der großen Geheimnisse von „Babylon 5“ – dazu sagt aber Galen am Ende der Doppelfolge im Grunde alles, wenn er beiläufig erwähnt, dass einmal aufgelöste Geheimnisse bei Weitem nicht mehr so interessant seien. Was bleibt, ist eine Doppelfolge „Babylon 5“, mit der man zwar nicht unbedingt in das Universum einsteigen sollte, die aber gut (und hoffentlich auch erfolgreich) genug ist, um sich auf weitere „Lost Tales“ zu freuen. Für jeden Fiver ist es ohnehin ein Pflichtkauf. Und für jeden, der hofft, dass auch andere Serien dereinst auf diese Weise fortgeführt werden, im Grunde auch.

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    „Babylon 5 – Vergessene Legenden“ – DVD für 14,95 EUR

    Quelle: Corona Magazine, Ausgabe #189, http://www.corona-magazine.de

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